ARMENIEN / Die Armenier

Viele Armenier würden auf die Frage, was für ihre Selbstdarstellung und Identität am wichtigsten sei, wahrscheinlich zwei Dinge nennen: Die Armenier sind das erste christliche Volk und sie wurden Opfer eines Völkermordes, das von der Türkei geleugnet wird. Aus europäischer Sicht kommt noch hinzu, dass Armenier als gute Geschäftsleute angesehen werden. Die christliche Religion und die Erfahrung des Völkermordes haben die Identität der Armenier so sehr geprägt, dass viele andere Merkmale in den Hintergrund geraten. So entstand ein sehr verfälschtes Bild eines Volkes, das auf eine über 4000-jährige Geschichte zurückblickt, die vor allem durch eine reiche Kultur gekennzeichnet ist.

Die Region im Osten der heutigen Türkei, auch Hochland von Armenien genannt, gilt als die Heimat der Armenier. In den Überlieferungen der Hethiter wird gegen Ende des 15. Jh. v.Chr. über den Krieg gegen ein Land „Hayasa“ berichtet. Der Name erinnert an die armenische Selbstbezeichnung des Landes: Hayastan. Die Armenier selber verknüpfen ihre Abstammung mit dem legendären Stammvater namens Hayk, der sein Volk in die Ararat Region geführt haben soll. Deshalb nennen sie sich nach diesem Vorfahr „Hay“. Eine wichtige Epoche der Entstehungsgeschichte Armeniens und der Armenier stellt das Urartu-Reich dar, das im Gebiet des Van-Sees im äußersten Osten der heutigen Türkei bestand.

Zum ersten Mal wurde die Bezeichnung „Arminia“ 521 v.Chr. in einer persischen Inschrift erwähnt. Die geographische Lage Armeniens führt dazu, dass über viele Jahrhunderte die verschiedenen Mächte in der Region um die Vorherrschaft über das Hochland von Armenien kämpften.

Einen wichtigen Wendepunkt in der Geschichte der Armenier bildet die Annahme des Christentums. Der armenische Herrscher Trdat III. bekannte sich zum Christentum, das somit ab dem Jahr 301 zur Staatsreligion wurde. Die Armenisch-Apostolische Kirche ist seit 506 eine eigenständige Kirche. Von ganz großer Bedeutung für die Entwicklung der armenischen Kultur und Sprache ist das Alphabet, das der Geistliche Mesrop Maschtotz und das kirchliche Oberhaupt der Armenier, Katholikos Sahak, im Jahr 406 geschaffen haben.

Armenier unter türkischer Herrschaft

Nach der Einnahme der Stadt Ani im Jahr 1064 und ihrem Sieg über die Byzantiner bei Manzikert im Jahr 1071 fielen ganz Armenien und Anatolien unter die Herrschaft der türkischen Seldschuken. Dies führte dazu, dass zwischen dem 11. und 13. Jahrhundert viele Armenier das Hochland von Armenien verließen. Ein Teil von ihnen zog nach Süden und ließ sich in Kilikien nieder. Das geschaffene kleine armenische Königreich, das als „Kleinarmenien“ in die Geschichte einging, bestand von 1080 bis1375.

Als die Hauptstadt Kilikiens 1375 von den aus Ägypten vordringenden Mameluken erobert wurde, verloren die Armenier ihr letztes unabhängiges Staatsgebilde. Im Jahr 1512 entriss Sultan Selim I. den Safawiden den östlichen Teil des Hochlands von Armenien. Wenig später beendete er im Süden die Herrschaft der Mameluken über das armenische Kilikien. Die meisten Armenier lebten somit im Osmanischen Reich.

Die der Armenisch-Apostolischen Kirche angehörenden Armenier wurden vom armenischen Patriarchen in Konstantinopel geleitet, der von den Osmanen offiziell anerkannt wurde. Während der Jahrhunderte der Fremdherrschaft blieb die Kirche die einzige intakte Institution, die den nationalen Zusammenhalt, die Kultur und Sprache bewahren konnte. Das Zentrum der armenischen befindet sich in Etschmiadsin, dass in der Nähe der Hauptstadt Yerevan liegt.

Wie alle christlichen Untertanen waren die Armenier bestimmten Beschränkungen unterworfen: Es war ihnen nicht gestattet, Waffen zu tragen oder zu besitzen; ihnen wurden besondere Steuern auferlegt, von denen die Moslems befreit waren; sie waren vom Militärdienst ausgeschlossen; ihre Zeugenaussagen wurden vor Gerichten nicht anerkannt bzw. waren denen eines Moslems nicht gleichwertig. Vor allem waren sie in den östlichen Provinzen ständig den Übergriffen von nomadischen Stämmen ausgesetzt.

Die Armenier spielten in der Wirtschaft des Osmanischen Reiches eine wichtige Rolle. Sowohl die Landwirtschaft als auch der Handel und das Handwerk in den Dörfern und Städten in den östlichen Provinzen lag in ihren Händen. Besonders bedeutsam war die Rolle armenischer Architekten, nach deren Plänen zahlreiche berühmte Gebäude in der Hauptstadt Konstantinopel und anderen Städten erbaut wurden.

Nach dem russisch-türkischen Krieg von 1828/29, der durch den Vertrag von Adrianopel (heutiges Edirne) beendet wurde, wurde Armenien zwischen Russland und dem Osmanischen Reich aufgeteilt. Nach dem russisch-türkischen Krieg von 1877/78 fielen weitere armenische Gebiete unter die russische Herrschaft. Die Armenier betrachteten Russland als Befreier aus der islamischen Herrschaft. Sowohl wirtschaftlich, politisch als auch kulturell erlebten sie unter russischer Herrschaft einen bedeutenden Aufschwung.

Auf dem Berliner Kongress von 1878 wurde die Armenische Frage zum ersten Mal Gegenstand der internationalen Politik. Die von der osmanischen Regierung vertraglich zugesicherten Reformen wurden nie umgesetzt. Der 1876 auf den Thron gekommene Sultan Abdul Hamid II. betrieb gegenüber den Armeniern eine besonders blutige Politik: Den Massakern in den Jahren 1894-96 fielen etwa 300.000 Armenier zum Opfer, zahlreiche Armenier wurden zwangsislamisiert. Die armenische Bevölkerung im Hochland von Armenien, Anatolien und Kilikien nahm dadurch deutlich ab.

Völkermord

Der Völkermord, dem während des 1. Weltkrieges 1,5 Millionen Armenier zum Opfer fielen, stellt einen tiefgreifenden Bruch in ihrer Geschichte dar. Ihre Identität und ihr Leben sind gekennzeichnet von der Erfahrung und den Folgen dieses Verbrechens. Für die Armenier bedeutet der Völkermord auch den Verlust eines Großteils ihrer Heimat und die Zerstörung ihres dort entstandenen kulturellen Erbes.

Die bereits in den Jahren 1894-96 eingeleitete Vernichtungspolitik unter Sultan Abdul Hamit II. wurde auch nach seinem Sturz durch die nationalistische Bewegung der Jungtürken fortgesetzt, die1908 mit einem Aufstand an die Macht gekommenen waren. Sie gaben zwar vor, für die Gleichberechtigung aller Völker des Osmanischen Reiches einzutreten, aber in Wirklichkeit leiteten sie kurz nach ihrer Machtübernahme eine Politik ein, um die Vorherrschaft des türkisch-islamischen Bevölkerungsteils zu stärken.

Mit dem Ausbruch des 1. Weltkrieges und Kriegseintritt an der Seite Deutschlands und Österreich-Ungarn begann die türkische Regierung ihren Plan zur Türkisierung des Vielvölkerreiches umzusetzen. Die Deportation und Vernichtung der Armenier verlief in mehreren Phasen: Die Verhaftung von führenden armenischen Intellektuellen und Politikern in der Hauptstadt am 24. April 1915 wird allgemein als der Beginn des Völkermordes betrachtet. Bis Ende 1915 waren die meisten Armenier des Osmanischen Reiches entweder ermordet oder in die Wüstengebiete im heutigen Nordsyrien deportiert worden. Zwischen 1916 und 1918 wurden die restlichen Armenier entweder islamisiert oder gingen in den Todeslagern an Hunger und Krankheiten zugrunde. Mit der türkischen Invasion in den Süd-Kaukasus Anfang 1918 wurden auch die dort lebenden Armenier Opfer der türkischen Vernichtungspolitik.

Armenien und die Armenier nach dem Völkermord

Nachdem die Oktoberrevolution 1917 zum Zusammenbruch des Zarenreiches geführt hatte, entstanden im Transkaukasus drei unabhängige Republiken: Georgien (26. Mai 1918), Armenien (28. Mai 1918) und Aserbaidschan (28. Mai 1918). Diese drei Republiken hatten allerdings nur eine kurze Lebensdauer. Ende 1920 übernahmen die Bolschewiki die Macht in Yerevan. Das kleine Sowjetarmenien konnte sich wirtschaftlich und kulturell von den zerstörerischen Folgen des Völkermords erholen. Jedoch war die Auseinandersetzung mit dem Verbrechen politisch unerwünscht. Erst ab 1965 wurde es möglich, öffentlich an den Völkermord zu erinnern und für die Opfer eine Gedenkstätte in Yerevan zu errichten.

Die Entwicklung der Armenier in der Diaspora und die der in der Sowjetrepublik Armenien verliefen sehr unterschiedlich. Entsprechend den jeweils unterschiedlichen Bedingungen in den einzelnen Ländern, wo die Überlebenden des Völkermordes ein neues Leben aufbauten, verlief auch die Entwicklung der einzelnen Diaspora Gemeinden unterschiedlich. Traditionell starke Gemeinden existierten in Syrien, dem Libanon und im Iran. Die Umwälzungen im Nahen Osten haben vor allem seit 1980 dazu geführt, dass die dortigen großen armenischen Gemeinden durch Emigration in westliche Länder immer mehr geschrumpft sind. Die stärksten Diasporagemeinden gibt es in den USA und in Frankreich. In Deutschland leben inzwischen schätzungsweise 50.000-60.000 Armenier, von denen ein bedeutender Teil aus der Republik Armenien stammt.

In der Diaspora besitzt die Armenisch-Apostolische Kirche eine sehr wichtige Funktion als verbindende Instanz der weltweit zerstreut lebenden Armenier. Es gibt aber auch politische Parteien, die in der Diaspora ebenfalls eine Rolle spielen. Sie setzten sich verstärkt ab 1970 für die internationale Anerkennung des Völkermords ein. Inzwischen haben sowohl das Europäische Parlament als auch mehrere nationale Parlamente, darunter auch der Bundestag, das Verbrechen als Völkermord anerkannt. Auch Staaten außerhalb Europas haben den Völkermord bereits anerkannt.

Die Republik Armenien

Der Zerfallsprozess der Sowjetunion wurde begleitet von den blutigen Auseinandersetzungen zwischen den verschiedenen Nationalitäten. Dazu zählte auch der 1988 ausgebrochene Konflikt um das Autonome Gebiet Berg-Karabach. Im selben Jahr ereignete sich in Gjumri, der zeitgrößten Stadt Sowjetarmeniens, ein schweres Erdbeben, dem etwa 25.000 Menschen zum Opfer fielen.

Am 21. September 1991 erklärte das Parlament in Yerevan die Unabhängigkeit des Landes von der Sowjetunion. Der Krieg um Berg-Karabach, die Erdbebenkatastrophe vom Dezember 1988 und die Blockade durch Aserbaidschan und die Türkei erschwerten die wirtschaftliche Entwicklung des Landes. Die Auswanderung und damit der Bevölkerungsrückgang im Land stellt ebenfalls ein ernsthaftes Problem dar:1986 hatte Sowjetarmenien 3,4 Mio., die heutige Republik zählte 2014 etwa 3 Mio. Einwohner.

Nach der Unabhängigkeit haben Diaspora-Armenier geholfen, die Lebensbedingungen der Menschen zu verbessern und die Infrastruktur des Landes zu entwickeln. Trotzdem herrscht noch bedrückende Armut vor allem in den Dörfern und Städten wie Gjumri. Viele Menschen sind und werden auch in absehbarer Zeit auf die Hilfe ihrer im Ausland arbeitenden Angehörigen oder Hilfsorganisationen angewiesen sein.

Die Albert Sevinc Stiftung und Armenien

Die Albert Sevinc Stiftung wird mit eigenen Hilfsprojekten in Armenien denen helfen, die am dringendsten auf Hilfe angewiesen sind. Einen Schwerpunkt der Aktivitäten der Stiftung wird die von der Erdbebenkatastrophe schwer getroffene Stadt Agrumi bilden, wo noch viele Menschen in provisorischen Unterkünften leben, die nach dem Erdbeben 1988 errichtet wurden. Von Armut betroffen sind vor allem alleinstehende ältere Menschen. Die Stiftung errichtet ein Haus wo sie nicht nur wohnen können, sondern auch versorgt werden.

Der Stifter Albert Sevinc, der mütterlicherseits armenischer Herkunft ist, war seit der Unabhängigkeit des Landes sehr oft in Armenien, das für ihn ein zweites Zuhause darstellt. Die menschenunwürdigen Lebensbedingungen, unter denen manche Menschen in Armenien leben sind ihm bekannt, und er hat in der Vergangenheit bereits hilfsbedürftige Familien unterstütz. Die Stiftung daran anknüpfen und sich für eine nachhaltige Verbesserung der Lebensbedingungen von notleidenden Menschen in Armenien einsetzen. Sie wird dabei offen sein für eine enge Zusammenarbeit mit Personen und Institutionen, die ebenfalls in diesem Sinne tätig sind.

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